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Freitag, 25. Juli: Großartige Gastfreundschaft und grandioses Tanztheater
Nach über 12 Stunden Flug und einer Nacht im Flugzeug kamen wir am Flughafen gegen Mittag in Kapstadt an. Zögerlich, weil wir nicht wussten, was uns die nächsten Wochen erwarteten würde, verließen wir den Sicherheitsbereich und wurden dann von der herzlichen Begrüßung unserer GastgeberInnen regelrecht überwältigt. Mit selbst gebastelten und bemalten Schildern empfingen uns unsere sechs Austauschpartnerinnen, nahmen uns in den Arm und sofort waren alle Unsicherheiten vergessen.
Vom Flughafen fuhren wir dann mit einem Schulbus direkt zum Haus des einen Austauschlehrers und Organisators Lionel Hoffman, wo wir uns zunächst mit einen Snack gemeinsam stärkten, bevor am Abend dann schon unser erster Theaterbesuch auf dem Programm stand, und zwar im größten Theater Kapstadts, dem sogenannten Artscape, wo unter dem Titel „Born Frees“ eine Tanzshow der sogenannten „Fokusschulen“ stattfand. Zehn Schulen der Region Westkap werden von der Regierung mit zusätzlichen Mitteln zur Förderung von „art und culture“ ausgestattet, unter anderem unsere Partnerschule. Es ist unbeschreiblich, mit welcher Energie die Tanzchoreographien präsentiert wurden und wie begeistert die Zuschauer bei manchen Tänzen, zum Beispiel bei einem bestimmten Hochzeitstanz, mit Rufen und unterstützenden Klängen mit einstimmten. Die Choreographien waren vielfältig, manchmal synchron, manchmal in Reihungen aber immer voller Kraft und körperlichem Ausdruck, so dass es uns schwer fiel zu glauben, dass das eine Präsentation von SchülerInnen ist. Bewegend fanden wir aber nicht nur diese Präsentation, sondern dass uns bereits am ersten Abend die Vergangenheit Südafrikas begegnete. Der Titel „Born Frees“ sollte darauf hinweisen, dass diese Tänzer frei, also nach der politischen Wende 1994, geboren sind. Theaterlehrerin Jill Markram erzählte ihren SchülerInnen in ihrer Einführung in die Abendveranstaltung, dass sie in ihrer Jugend in das von der Apartheidregierung erbaute Artscape nicht einmal als Zuschauer gekommen wäre, ein Auftritt dort war für die sogenannten „Non-Whites“ völlig undenkbar. Shakespeares Othello war seinerzeit von einem Weißen mit schwarz bemaltem Gesicht gespielt worden, dem bis zum Ende des Stücks die Farbe im Gesicht völlig verschmiert war.
Nach dem Theater sind wir in das Haus der Schwägerin Lionel Hoffmans in Melkbosstrand gefahren, wo wir das Wochenende verbringen sollten.
Samstag, 26. Juli: Erstes Treffen am Meer
In dem gastfreundlichen großen Haus von Jenny und Chris Prince fand dann am Samstag bei einem typisch südafrikanischen Braai, also einem Art Barbecue mit verschiedenen Sorten Fleisch, unsere erste nähere Begegnung mit unsern Partnerinnen statt. Da es ein recht kalter und feuchter südafrikanischer Wintertag war, drängten wir uns alle im Wohnzimmer zusammen, doch dadurch entstand gleich Nähe. Man tauschte sich aus, lernte sich kennen, stellte Fragen über das jeweilige Partnerland und schon dabei erfuhren wir sehr viel über kulturelle Vielfalt der Menschen Südafrikas und den Alltag unserer Partnerinnen.
Zwischendurch fuhren wir dann gemeinsam an den Strand. Am Meer lehrten die südafrikanischen Schülerinnen uns spontan einen ersten kurzen Tanz.
Bevor unsere Partnerinnen wieder nach Hause fuhren, fand noch eine offene Runde mit kleinen Reden der Beteiligten statt. Noch öfter während unserer Reise sollten wir Reden hören oder selbst halten. Der formvollen Äußerung eigener Gedanken wurde immer wieder große Bedeutung beigemessen und solche Reden eröffneten dabei nicht selten größere Zusammenhänge. Z.B. wandte unser Gastgeber Mr. Prince sich auffordernd an die deutschen Schüler/innen, den Südafrikaner/innen in den kommenden zwei Wochen vom Fallen der Mauer und dem Zusammenwachsen Deutschlands zu erzählen, da auch in Südafrika gerade Mauern eingerissen wurden.
Sonntag, 27. Juli: Gottesdienst und biografische Gespräche
Der Sonntag begann mit einem Gottesdienst in einer baptistischen Kirche. Bereits in der langen, emotionalen gemeinsam gesungenen „Hymne“ hoben viele Mitglieder ihre Hände zum Himmel oder riefen laut „Amen“ aus. Der weitere Verlauf wich offensichtlich vom normalen Gottesdienst der Gemeinde ab, ein kleines Kirchenteam führte durch die dreistündige Versammlung. Bibelstellen wurden vorgelesen und ausgelegt, v.a. wurden einzelne Mitglieder der Gemeinde ganz konkret aufgerufen und angesprochen. Die LeiterInnen berichteten jeweils von Träumen über ganz konkrete Gemeindemitglieder und legten diese für die Angesprochenen aus. Meist waren es aufmunternde Worte zur Stärkung verbunden mit einer Aufforderung seine Talente stärker für die Gemeinschaft zu nutzen.
Zurück bei Jenny und Chris bekamen wir ein großartiges Mittagessen – ein typisches Curry, wie es die ehemaligen malaischen Sklaven kochten, deren Küche noch Südafrika noch heute sehr beeinflusst und bereichert. Wir wurden somit im wahrsten Sinne des Wortes „ganzheitlich“ und mit allen Sinnen mit dem Land vertraut gemacht. Bereits am Abend zuvor ergaben sich beim Schneiden von Knoblauch und dem Einlegen von Ingwer interessante Gespräche über die Familiengeschichte von Lionels Frau Margie und ihrer Schwester Jenny. Diese vertieften wir nach dem Essen, als Jenny und Chris für uns u.a. eine verfilmte Version des Musicals „District Six“ kommentierten. Sowohl die Schwestern Jenny und Margie als auch Mr. Prince stammen aus dem „District Six“, einer Gegend am Fuße des Tafelbergs in Kapstadt, und beide Familien waren im Zuge der Zwangsräumung dieses Viertels in den Zeiten der Apartheid enteignet worden.
Montag, 28. Juli.: Unser erster Schultag
Am Montag hatten wir dann unseren “ersten Schultag“. Um 07.50 werden die Schüler zunächst zur Überprüfung der Anwesenheit in ihren Klassenzimmern „registriert“. Montags folgt dann um 08.00 eine Schülervollversammlung. Die Assembly an unserem ersten Schultag begann – quasi als Welcome für uns – mit einer beeindruckenden Theatershow, bei der die TheaterschülerInnen die Sage von der Loreley mit einer afrikanischen Sage verglichen. Die Tatsache, dass eigens zu unserer Begrüßung diese Aufführung stattfand, erstaunte uns und war uns zuerst auch ein wenig unangenehm, aber andererseits zeigte sich so die Wertschätzung, die unserem Besuch an der Schule beigemessen wurde und so fühlten wir uns auch geehrt. Peinlich fanden wir allerdings, dass uns Stühle angeboten wurden, während alle anderen auf dem Boden saßen. Natürlich haben wir alle freundlich abgelehnt. Im Folgenden wurden wir noch persönlich in einer Rede begrüßt, darauf hat sich die Aula ganz kurz zu einem Stadion während des Pokalfinales verwandelt. Offensichtlich schien es etwas Besonderes für die SchülerInnen zu sein, dass wir da waren. Das konnten wir eigentlich immer spüren.
Bei unseren Wegen durch das Schulgebäude wurden wir nicht selten angestarrt. Ein merkwürdiges Gefühl. Sicher hatten das die Wenigsten von uns schon einmal erlebt. Häufig wurden wir auch angesprochen, aber immer freundlich behandelt. Die Aufmerksamkeit, die zehn BesucherInnen aus Deutschland an einer Schule mit über 1200 SchülerInnen erregte, zeigt aber auch, dass solche Besuche an der Eerstefivier Secondary School nicht zu häufig stattfinden. Allerdings konnten wir aber immer wieder erkennen, dass sich die SchülerInnen über die Aufmerksamkeit, die wir ihnen durch unseren Besuch zeigten, freuten.
Die Assembly wurde mit einem Vater-Unser beendet. Wir gingen danach durch das langgezogene Schulgebäude in den hinteren Teil der Schule, wo sich die Theater-, Tanz- und Kunsträume befinden, um auch so schnell wie möglich mit Theater anzufangen. Nach einer Vorstellungsrunde begannen wir mit einem Warm-Up. Das Eis brach sofort – auch mit den anderen SchülerInnen der 11.Klasse, die wir bisher noch nicht kennengelernt hatten.
Auffällig war, wie schnell wir uns als eine Theatergruppe fühlten. Wir spielten uns gegenseitig einige Szenen zum Thema „Freiheit“ vor, die wir vorbereitet hatten. Unsere Partnerinnen hatten ihren Fokus dabei auf südafrikanische Gegenwartsliteratur gelegt. Themen waren dabei ganz oft das Selbstverständnis der sogenannten „Blacks“ oder „Colourds“ in der südafrikanischen Gesellschaft und ihre Unterdrückung während der Apartheid bzw. daraus resultierende Benachteiligungen heute. Aber auch Traditionen wurden in den Texten hinterfragt, zum Beispiel die Tatsache, dass in manchen Kulturkreisen die Frauen bis zum 25. Lebensjahr enthaltsam Leben müssen, um von ihrer Familie nicht verstoßen zu werden. Die meisten der Szenen unserer Partnerinnen waren Monologe und Dialoge, einige sind Teil ihrer Abiturvorbereitung. Denn das System der Fokusschulen bietet die einmalige Gelegenheit unter Anleitung einer studierten Theaterlehrerin schriftlich und praktisch Abitur im Fach Theater abzulegen.
Wir hatten uns auf Schiller spezialisiert, Kabale und Liebe, Maria Stuart und Don Carlos.
Und schon war es passiert! Die Gedankenfreiheit und Unterdrückung in „Don Carlos“ passten super zu den Szenen unserer PartnerInnen. „Kabale und Liebe“, bei uns ein alter Hut, bekam nun plötzlich eine neue Relevanz, denn nicht nur in den Familien unserer PartnerInnen ist es durchaus nicht unüblich, dass die Eltern massiv in die Eheplanung der Kinder eingriffen – Unterschiede in der sozialen Herkunft beeinflussen die Leute wie früher die Ständegesellschaft – auch eine deutsche Schülerin berichtete von handgreiflichen Diskriminierungen des Freundes ihrer Schwester auf Grund seiner Hautfarbe.
Wie bereits erwähnt, kommt man durch das gemeinsame Theaterspiel sofort auf eine gemeinsame Ebene und erfährt erstaunlich schnell erstaunlich viel über das Land und die Kultur.
Die Pausen und Stundenwechsel wurden unüberhörbar und penetrant von einer Sirene eingeläutet. Die anderen MitschülerInnen waren immer recht neugierig, was da im Theatertrakt passiert. Wir wurden stets genau beobachtet, wenn wir mit unseren neu gewonnen FreundInnen über den Schulhof schlenderten.
Nach der Schule fuhren Leon, David und ich wieder zurück in unser „neues Zuhause“, zu Theresa und Brian Wildschutt, einem befreundeten Ehepaar der Familie Hoffman. Am Abend dann haben wir noch bis spät in die Nacht Spiele mit Cameron und Theresa, Theresas und Brians Kindern, gespielt.
Dienstag, 29. Juli: Stellenbosch und Umgebung
Heute stand auf dem Programm die Region nördlich von Kapstadt zu erkunden. Dazu gehört unter anderem Stellenbosch, der Wohn- und Herkunftsort von der Theaterlehrerin Jill Markram. Sie wollte uns auf die Reise zu ihren Vorfahren mitnehmen. Frau Markram selbst gehört, wie der Großteil der SchülerInnen der Eersterivier Secondary School, der Gruppe an, die während des Apartheid-Regimes als „colored“ eingestuft wurde.
Frau Markram erzählte auch aus dem Leben ihrer Vorfahren, das als Sklaven in einem fremden Land begonnen hatte. Neben der völligen Entrechtung als Arbeitskraft bedeutete dieses Leben eine totale Zerstreuung der Familien. Kinder und Ehepaare wurden an verschiedene Gutsbesitzer gegeben. Bereits in der zweiten Generation war die eigene ursprüngliche Herkunft nicht mehr festzustellen. Besonders berührte uns die Geschichte von Frau Markrams Großvater, der in hohem Alter dement umher irrend an das Haus seiner Kindheit zurückgekehrt war: Wo einst die Sklaven gewohnt hatten, wohnten nun aber – nach Enteignung und Vertreibung – völlig andere, weiße Besitzer. Am Ende ihrer Führung durch Stellenbosch war Frau Markram sichtlich bewegt und wir spürten, dass es ihr ein sehr persönliches Anliegen gewesen ist, uns diese Geschichten zu erzählen.
Stellenbosch ist heute eine wohlhabende Studenten- und Weinbaustadt. Sie ist neben Kapstadt die zweitälteste Stadt in der Kapregion. Überall sieht man Spuren von Sklaverei, aber nur, wenn man weiß, wo man hinzusehen hat. Dafür bedanke ich mich hier noch einmal herzlich bei Frau Markram, wäre sie nicht mit uns gewesen, wäre uns Stellenbosch als ganz gewöhnliche reichere Gegend in Erinnerung geblieben.
Nach dem Mittagessen auf dem Campus der Universität machten wir uns noch auf den Weg nach Franschhoek und nach Paarl, wo sich das Victor Vester Gefängnis befindet, aus welchem Nelson Mandela nach 27 Jahren Haft im Jahr 1990 entlassen wurde. Wir alle hatten in der Vorbereitung die weltbewegenden Bilder gesehen. Nach einigen Gruppenfotos vor Mandelas Statue haben wir uns noch ein Eis gegönnt und sind dann wieder Richtung Eersteriver gefahren.
Mittwoch, 30. Juli: Tanz- und Theater-Workshops
Der Mittwoch begann für uns mit einem Workshop in der Schule, der von Studentinnen der Universität Kapstadt abgehalten wurde. Es war ein Tanz-Workshop, bei dem ich erst mal über meinen eigenen Schatten springen musste. Wir begannen mit einem Zulu-Tanz, einem traditionellen Kriegertanz. Schon nach den ersten Schrittkombinationen hatte mich das Tanzfieber gepackt und es war mir egal, ob es nun gut aussah, wie ich tanzte oder nicht. Die Gemeinsamkeit, mit der wir und die ganze 11. Klasse das machten, und dass fast alle ihre Schwierigkeiten bei den Schritten hatten, steckte an und irgendwann machte es einfach nur Spaß und nichts Anderes. Wir wurden alle vom gemeinsamen Rhythmus mitgezogen. Die erhitze Stimmung wurde noch mit hineingerufenen Lauten und Pfeiftönen unterstützt, und wir spürten die Gruppendynamik während jedem Schritt.
Wenn man von außen in den Saal kam, konnte man nur noch eine Masse an SchülerInnen sehen, die mit all ihren Sinnen dabei war und all ihre Energie in den Tanz steckte.
Nach dem ersten Tanz gab es eine kleine Feedback-Runde, in der nur Gutes und begeisterte Kommentare zu hören waren.
Der „Township-Tanz“, der danach folgte, bot uns Einblicke in die „Moves“, mit denen in Kayelitsha getanzt wird, und das damit verbundene Lebensgefühl der Jugendlichen.
Ganz zum Schluss gab es noch eine beeindruckende „Freestyle-Runde“: Zu einer lauten Musik standen wir im Kreis und unterstützten dessen Rhythmus. Reihum sprang jeder in die Mitte und tanzte dort ein ausgelassenes Solo – ohne weitere einschränkende Vorgaben. Zuerst hatten einige von uns Hemmungen, weil natürlich alle zuschauten, aber der Rhythmus und die Gemeinsamkeit, mit der alle mitmachten, vertrieb schnell alle Zögerlichkeiten und half Grenzen hemmungslos zu überschreiten.
Nach der Pause folgte ein Theater-Workshop durch einen Dozenten der Universität. Angefangen wurde mit dem Kennenlernen der Fähigkeiten des eigenen Körper, z.B. dem Versuch mit neutralem Gesichtsausdruck große Emotionen zu spielen, und führte zur Etablierung von Räumen, die gar nicht da sind. Wir arbeiteten dabei in wechselnden Paaren zusammen, immer Deutsche mit SüdafrikanerInnen und selbst, wenn wir das erste Mal mit den SüdafrikanerInnen zusammen spielten, konnten wir doch keine Unterschiede im Theaterspiel feststellen und wir waren auf derselben Wellenlänge: Wir schlugen uns durch imaginäre Dschungel und erschufen eine ganz andere Welt mit erzeugten Geräuschen.
Während der vielen Stunden Workshop in der Schule sind wir unglaublich zusammen gewachsen und unsere Beziehung zueinander hat sich um einiges gestärkt und vertieft. Das machte diesen Austausch zu etwas ganz Besonderem.
Zum Mittag gab es für uns sechs GastschülerInnen bei Mr. Hoffmann Chakalaka zum Mittagessen. Das sind bunte Ringelnudeln zusammen mit Zwiebeln, Pilzen und Würstchen. Als Nachspeise gab es sogenannte Donuts, die dort aber kugelförmig sind und nicht wie in Amerika ein Loch in der Mitte haben. Über diese Süßigkeit werden noch Kokosraspeln gestreut und dann kann sie genüsslich gegessen werden. Beide Speisen sind wieder kapmalaisches Essen.
Am Abend waren wir noch zusammen mit unseren Austauschpartnerinnen in einer Theatervorstellung im Baxter Theater, Fishers of Hope von Lara Foot, die mich vor allem deshalb beeindruckt hat, weil die ganze Hintergrundmusik von einem Mann gespielt und gesungen wurde, der neben der Bühne saß. Die Kulisse war auch sehr originell, denn der Fluss, an dem das Stück spielte bestand aus echtem Wasser. Die tänzerische Leistung einer Nebenfigur war zudem akrobatisch und zugleich atemberaubend.
In dem Familiendrama geht es um die Liebe eines Ehepaares in der schwersten Lebenskrise ihres Lebens: Die ökonomischen Probleme der Familie werden dabei stets in größere Zusammenhänge (Tourismus, Globalisierung, Überfischung) gestellt. Es war sehr beeindruckend ein typisch afrikanisches Theaterstück der Gegenwart zu sehen.
Donnerstag, 31. Juli: Berührende Begegnungen: Seniorentreff und Township
Der Tag begann mit den sogenannten „67 Minuten für Mandela“. Seit ein paar Jahren sind die Menschen in Südafrika dazu aufgefordert im Geburtstagsmonat Mandelas wohltätige Arbeit zu leisten. Die 67 Minuten stehen dabei für die 67 Jahre, die sich Mandela für sein Land eingesetzt hat.
Auf dem Weg in ein nahe gelegenes Gemeindezentrum hatten wir im Bus richtig gute Stimmung. Dumisa und seine MitschülerInnen brachten den ganzen Bus in Bewegung, indem sie afrikanische und englische Lieder sangen. Häufig sang Dumisa vor und wir alle wiederholten die Strophen.
Im Gemeindezentrum erwartete uns schließlich eine Gruppe älterer Menschen, die sich dort zwei Mal in der Woche treffen und ein warmes Mittagessen und vor allem Gesellschaft bekommen.
Anfangs hatten wir noch „Berührungsängste“, denn manche SeniorInnen konnten kein Englisch sprechen. Doch das Eis brach sehr schnell. Die südafrikanischen SchülerInnen bildeten Pärchen mit uns und wir gingen zu zweit auf die Leute zu. Die alten Leute waren offen und manche begannen gleich ein paar Geschichten zu erzählen. Alle freuten sich über den Besuch und lächelten uns zu, als wir ein paar mitgebrachte Kekse verteilten.
Es war vollkommen still, als die ersten Performances begannen. Nur an den lustigen Stellen der kleinen Theatereinlagen der SüdafrikanerInnen war der Saal erfüllt mit lautem Gelächter. Aber auch wir bekamen Applaus als TänzerInnen des Zulu-Tanzes, den wir zusammen mit allen anderen SchülerInnen aufführten. Zum Schluss gab es dann noch eine Gesangseinlage von unseren jüngsten TeilnehmerInnen am Austausch. Lukas und Anna sangen ein Lied vom kommenden Frühling und zauberten allen ein Lächeln aufs Gesicht.
Bald wurden wir mit winkenden Händen und Abschiedsrufen verabschiedet. Für den restlichen Vormittag stand ein Besuch des Townships „Khayelitsha“ auf dem Programm. Zuerst wurde uns eine Secondary School in Khayelitsha gezeigt. Obwohl sich die Schule nur in Details von unserer Partnerschule unterscheidet, war der Besuch doch sehr beeindruckend, weil es uns zeigte, dass die Regierung des Western Capes sich bemüht auch den Kindern in diesen armen Gegenden Chancen auf eine gute Bildung zu ermöglichen. So wurden wir beispielsweise als erstes voller Stolz in den Computerraum gebracht. Dann wurden wir einmal durch das Gebäude geführt, in dem uns die SchülerInnen in roten Schuluniformen entgegen kamen. Als wir das Lehrerzimmer erreichten, gab es noch eine kleine Kostprobe der Theaterkünste unserer Austauschpartnerinnen und wir stellten uns der Rektorin vor.
Danach fuhren wir weiter zu einem kleinen Markt, der typisch für Khayelitsha ist. Doch bevor wir ausstiegen, gaben uns Zintle und Pumesa, zwei der Südafrikanerinnen, erst einen tieferen Einblick in ihre Kultur und Traditionen. Beide sind Xhosa. Wir erfuhren z.B. die Ernsthaftigkeit und den Respekt, mit dem die beiden ihrer Familie begegnen und ihrer Herkunft verbunden sind. Sie erzählten aber auch von Ritualen, die wir als Europäer eher irritierend empfinden.
Der Markt bestand aus ein paar Grillrosten, auf denen Unmengen von Fleisch frisch zubereitet wurden. Während wir den Frauen beim Braten zusahen, lernten wir von Zintle und Pumesa, dass „each tribe has its own stand in the market“ und noch mehr über die die Lebensweise der Xhosa.Der Besuch im Township Khayelitsha war mit Abstand die intensivste Erfahrung, die wir gemacht haben. Der südafrikanische Gastlehrer Lionel Hofmann lotste den Schulbus mitten in die Wohnstätte aus Blechhäusern, den sogenannten shacks. Als wir ausstiegen, konnte ich die beklemmende Atmosphäre spüren und hatte das Gefühl, in diesem Moment in die Privatsphäre der Bewohner einzudringen. Als nach ein paar Metern die ersten Tränen unserer Partnerinnen flossen und die Emotionen uns zu übermannen begannen, beschlossen wir wieder zu fahren und an einem nahegelegenen Strand erst einmal durchzuatmen und dann über unsere Gefühle zu sprechen.
Dieser Strandbesuch hat uns allen sehr gut getan und viel übereinander gezeigt. Zunächst war da einfach das Gefühl der Scham. Wir standen da und weinten. Dann war es Pumesa, die zuerst das Wort ergriff und ihre Gefühle beschrieb. Sie erklärte, dass sie sich so beschämt gefühlt hat, weil ihre Landsleute so leben müssen, und dass sie oft an diesen Wellblechsiedlungen vorbeifährt, aber es an diesem Tag mit unseren Augen sah, und sie das einfach nur betroffen gemacht hat. Die anderen Südafrikanerinnen nickten zustimmend. Auch wir Deutschen schämten uns, weil wir das Gefühl hatten, eingedrungen zu sein in die Heimat dieser Menschen und „Armutstourismus“ betrieben zu haben, obwohl unser Ziel doch eigentlich ein „positives“ gewesen war, nämlich das alle Seiten des Landes kennen zu lernen und den Leuten respektvoll zu begegnen. Unsere gemeinsamen Tränen, die offene Aussprache über unsere Gefühle, vor allem aber der Respekt, den wir alle – LehrerInnen wie SchülerInnen – in dem Moment voreinander empfanden, stärkte uns und bewegte uns.
Es war schön zu sehen, wie intensiv dieser Austausch war, viel intensiver als jeder andere Austausch, den ich bisher miterleben durfte. Die Erfahrung in Khayelitsha – auch wenn es eine bedrückende war – hat uns gezeigt, wie stark wir bereits zusammengewachsen waren, und dass die Berührungen im Theaterraum sehr tief waren, und ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung. Sie hat uns auch gezeigt, dass wir nicht nur zusammen lachen, sondern auch zusammen weinen können.
Am Abend waren wir (die sechs Gastschüler) noch bei FreundInnen von Mr. Lionel Hoffmann eingeladen. Es war ein sehr großes und nobel eingerichtetes Haus und ein paar von uns hatten ein eher beklemmendes Gefühl beim Gedanken an die Armut, die wir noch am Nachmittag im Township erlebt haben. Aber aufgrund der Gastfreundlichkeit und der Offenheit der GastgeberInnen wurde es doch ein schöner gemeinsamer Abend unter FreundInnen, den ich sehr genossen habe.
Freitag, 1. August: Unterricht und „Umzug“
Am Morgen des 1. August erlebten wir zunächst einmal den normalen Schulalltag mit. Hierfür teilten wir uns in kleine Gruppen auf und ließen uns von unseren PartnerInnen erst zu einem schwereren Mathekurs (11. Klasse), nach der 30 minütigen Pause zu einem leichteren (10. Klasse) bringen. Im Anschluss besuchten wir noch eine Physikstunde, die, wie auch die anderen beiden Fächer, auf „Afrikaans“ gehalten wurde. Da „Afrikaans“ aber eine sehr große Ähnlichkeit mit dem Deutschen hat und auch oft internationale Fachbegriffe verwendet wurden, konnten wir vieles sogar verstehen. Der Unterricht lief in den einzelnen Klassen jedoch sehr unterschiedlich ab. Während wir bisher ja nur den sehr strukturierten Theaterunterricht von Frau Markram erlebten, lief der Mathekurs der 11. Klasse eher entspannter und manchmal etwas vom Thema abschweifend ab. Im Physikunterricht, in dem nur circa 10 SchülerInnen saßen, herrschte dagegen eine sehr konzentrierte und angenehme Lernatmosphäre.
Am Nachmittag, nach der Schule, begann dann die Theaterprobe für unsere gemeinsame Aufführung! Von 13:30 Uhr (Schulschluss freitags) bis 16:00 Uhr versuchten wir die Theaterszenen, die die SüdafrikanerInnen uns am Montag gezeigt hatten, mit unseren mitgebrachten Schillerszenen (Don Karlos, Maria Stuart und Kabale und Liebe) zu gemeinsamen Szenen zu verbinden. Nach zweieinhalb Stunden unter der strengen Aufsicht von drei (!) TheaterlehrerInnen, standen schon einige Ideen und wir hatten einen neuen Tanz und ein südafrikanisches Lied gelernt.
Nach der Probe bekamen wir bei unserer super netten und gastfreundlichen Gastfamilie ein selbstgemachtes Hotdog, bevor wir uns auf den Weg zu unserer Unterkunft für den zweiten Teil des Aufenthaltes machten – den „Sisters of the Holy Cross“. Dies sind katholische Ordensschwestern, die ein Kinderheim für Waisenkinder leiten und ihrem Kloster auch Zimmer an Gäste vermieten. Dort wurden wir untergebracht und verbrachten den ersten Abend in trauter „Zehntsamkeit“ bei einem Gläschen Wein und im regen Austausch über die bisher gemachten Erfahrungen.
Samstag, 2. August: Kapstadt: Wow!
Den Samstag verbrachten wir wiederum mit unseren Partnerinnen und widmeten uns diesmal der Geschichte von Südafrika. Wir bekamen dabei Unterstützung von einem Vater der Mädchen, der als Touristenführer in Kapstadt arbeitet und uns eine private Führung ermöglichte. Unsere erste Station war das „District Six Museum“. Hier konnten wir eine Führung durch Noor Ebrahim, einem ehemaligen Bewohner dieses Viertels genießen, das alle „Schwarzen“ und „Farbigen“ während der Apartheit hatten verlassen müssen. Mr. Ebrahim erzählte packend und mitreißend von sich und seiner Familie und auch unsere PartnerInnen hingen an seinen Lippen. Sie selbst waren noch nie in diesem Museum gewesen und wussten nur wenig über die Geschichte des Viertels, das 1966 plötzlich zu einem "weißen Wohngebiet“ erklärt worden war. Innerhalb weniger Tage mussten fast alle BewohnerInnen das Viertel verlassen und je nach „Hautfarbe“ in ein vorbestimmtes Wohngebiet umziehen. Wer ein Haus im „Distict Six“ besaß, wurde zwar „entschädigt“, aber man bekam nur einen Bruchteil dessen, was das Haus eigentlich wert war und meistens reichte es nicht für ein neues Haus. Mr. Ebrahim erzählte auch von der absurden Prozedur mit einem Stift, durch die bei Bekannten von ihm, denen man ihre angebliche „Rasse“ nicht ansah, entschieden wurde, welcher „Rasse“ sie angehören. Der Stift wurde ins Haar gesteckt. Fiel er heraus, galt man als „weiß“, blieb er stecken, war man „farbig“.
Weiter ging es über den Paradenplatz und das Rathaus von Kapstadt, von dessen Balkon Nelson Mandela 1990 seine erste Rede als freier Mann gehalten hat, zum Bo Kaap – Viertel. Viele der BewohnerInnen sind Nachfahren der im 17. und 18. Jahrhundert von der Holländisch-Ostindischen Handelskompanie aus Indonesien, Sri Lanka, Indien und Malaysia verschleppten Sklaven. Viele waren muslimischen Glaubens, andere wurden durch die muslimische Gemeinde zum Islam bekehrt. Nach einem leckeren „kap-malayischen“ Snack und einem Spaziergang durch die bunte Häuserzeilen, auf dem wir von einem Straßenmusiker begleitet wurden, in dessen Lieder unsere Partnerinnen begeistert einstimmten, besuchten wir das Bo-Kap-Museum, das die neben der Geschichte des Viertels auch seine spektakulären Karnevalsumzüge in den Weihnachtswochen dokumentiert. Nach einer längeren, kurvigen Fahrt hatten wir vom „Signal Hill“ einen atemberaubenden Blick über die Stadt und auf das Meer. Der gemeinsame Ausflug endete auf dem „Greenmarket Square“, einem schönen, traditionellen Flohmarkt.
Zurück im Schwesternheim besuchten wir noch die wöchentliche Messe, an der alle Waisenkinder des von den Schwestern geführten Waisenhauses teilnehmen. Besonders schön waren hier die persönlich formulierten Fürbitten der Kinder, die sich oft an ihre Eltern richteten.
Sonntag, 3. August: Ernste Schicksale – verrücktes Theater
Am Sonntag besuchten wir vormittags die Kinder des von den „Sisters of the Holy Cross“ geführten Waisenhauses und bekamen einen sehr intensiven Einblick in eine ganz andere Lebensweise. Insgesamt leben dort etwa 100 Kinder im Alter von 2 bis 18 Jahren. Viele von ihnen wurden allein in den Straßen der Townships aufgelesen, manche wissen nichts von ihren Eltern, die Eltern von anderen können sich nicht mehr um ihre Kinder kümmern, da sie schwer alkoholkrank sind, und werden von SozialarbeiterInnen in die Hände der Schwestern gegeben. Es leben jeweils bis zu 15 etwa gleichaltrige Kinder in einer Gruppe. Sie schlafen in einem gemeinsamen Zimmer. Wir sprachen mit den Kindern in jeder Gruppe, sangen ein deutsches Lied vor und jede Gruppe sang ein Lied für uns, wobei uns am meisten ein Lied der 9 bis 12 Jährigen beeindruckte. Es hieß „One last dance with my father“ und zeigte deutlich die Glaubensprägung und die Hoffnungen der Kinder. Die Jungengruppe erzählte von ihren Lieblingssportarten, in der Gruppe der großen Mädchen sprachen wir über Berufswünsche.
Nach dem Essen fuhren wir wieder nach Kapstadt. Wir verbrachten den Nachmittag im Aquarium und lernten die unglaubliche Vielfalt der Tiere in beiden Ozeanen kennen. Anschließend brachte uns der Bus ins Fugard Theater, wo wir zusammen mit unseren Partnerinnen eine tolle Inszenierung der Rocky Horror Picture Show genossen. Ein besonderer Dank gilt hier der Theaterlehrerin Mrs. Markram, die uns allen die Tickets besorgen konnte und so einen unvergessliches gemeinsames Erlebnis ermöglichte.
Montag, 4. August: Gute Gespräche, Pinguine und das Kap der guten Hoffnung
Nach dem Frühstück holten uns unsere Partnerinnen mit dem Bus Richtung Simon's Town und Boulder’s Beach ab. Denn für diesen Tag stand eine „educational tour“ in die Landschaft Südafrikas auf dem Programm. Dort erwartete uns zunächst eine große Pinguinkolonie. Viele von uns Deutschen kannten Pinguine bisher nur aus dem Fernsehen oder dem Zoo und, sie nun in freier Wildbahn zu erleben, war äußerst faszinierend. Auch unsere Partnerinnen, die diesen Ort das erste Mal in ihrem Leben sahen, waren Feuer und Flamme für diese watschelnden und schwimmenden Vögel. Sogar Nachwuchs war zu entdecken und so beobachteten und fotografierten wir und vergaßen darüber ganz, dass es wie aus Kübel schüttete. Zurück im trockenen Bus wärmten wir uns auf der Fahrt zum Cape Point wieder ein wenig auf. Die Zeit vertrieben wir uns mit langen Gesprächen über Freunde, Familie und Traditionen. Sehr interessant war es, auch einmal "Tabuthemen" wie Aids oder das Leben im Township anzusprechen oder zu erfahren, wie das Alttagsleben unserer südafrikanischen Partnerinnen aussieht. So erfuhren wir von einem Mädchen, dass ihre Mutter sie im Alter von zwei Jahren verlassen hat und dass sie sich in der Schule besonders anstrengt und Jahrgangsbeste ist, weil sie auf ein Stipendium für en Studium hofft. Viele von den Schülerinnen sind einerseits ihren gewohnten Traditionen verbunden, stehen aber gleichzeitig für den Wandel der gesamten südafrikanischen Gesellschaft, wenn sie zum Beispiel sagen, dass sie nicht wollen, dass ihr Vater bei ihrer Hochzeit Geld bezahlt, weil es ihnen dann so vorkommt, als würden sie „gekauft“. In diesen Gesprächen erkannten wir viele Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zum Leben deutscher Jugendlicher.
Angekommen am Cape Point war es fast schade, nicht noch weiterreden zu können und die Gespräche kurz unterbrechen zu müssen. Als wir aus dem Bus ausstiegen, hatte sich das Wetter gebessert und so erfreuten wir uns an der seltenen Flora und Fauna des Kap-Naturreservates. Von den Klippen des "Kaps der guten Hoffnung", hatten wir schließlich eine atemberaubende Sicht auf das Meer und den Naturpark. Vor diesem Hintergrund konnten wir die Freiheit fühlen, die wir in unserer gemeinsamen Präsentation umsetzen wollten. Wir hielten alles auf Erinnerungs- und Gruppenfotos fest, bis wir schließlich wieder im Bus saßen. Glücklicherweise hatte uns nicht dasselbe Schicksal ereilt wie die asiatische Reisegruppe im Bus nebenan. Deren Chips- und Schokoladenvorräte waren Minuten vorher von einem der hier wild lebenden Baboons geplündert worden. Mit einem kleinen Schreck, dass diese Affen offensichtlich auch Autotüren öffnen konnten und mit einem Zwischenstopp, um einen Straußen am Wegrand zu bewundern, fuhren wir schließlich zurück Richtung Kapstadt.
In einem kleinen, gemütlichen Restaurant direkt am Hafen teilten wir uns einige Portionen Fish 'n' Chips, bevor es dann für uns alle heim nach Eersterivier ging. Abschließend saßen wir Deutschen im Haus der Schwestern zusammen, um die Ereignisse des Tages zu reflektieren und das weitere Programm zu besprechen. Nebenher bereiteten wir auch noch eine kurze Rede für die Performance am kommenden Donnerstag vor.
Dienstag, 5. August: Unterwegs zu Nelson Mandela
Frisch und munter starteten wir am nächsten Morgen um Acht. Wir hatten ein straffes Programm vor uns. Unser Busfahrer, Mr. Koopman, brachte uns zur V&A Waterfront, einem großen Einkaufscenter nahe der Küste. Dort hatten wir die Möglichkeit uns mit Souvenirs und Mitbringseln einzudecken. Gegen Mittag fuhren wir mit dem Boot nach Robben Island, der bekannten Gefangeneninsel des Apartheidregimes, auf der die bekannten Freiheitskämpfer, vor allem eben Nelson Mandela, inhaftiert waren. Das Schiff schwankte beträchtlich, denn das windige Wetter peitschte die Wellen immer wieder gegen die Seite der Fähre, aber wir nahmen es gelassen und ruhte entweder unter Deck ein wenig aus oder schlidderten auf dem Oberdeck von Planke zu Planke. Mr. Koopman erzählte uns von seiner Zeit im Angolakrieg und erklärte, dass seine Eltern gerade einen bürokratischen Kampf gegen ihre Landenteignung in der Apartheidszeit führen. Auf der Insel angekommen, erwartete uns eine Bustour, auf der wir die vielen Gebäude der Gefängnisanlage erklärt bekamen. Wir sahen unter anderem einen Steinbruch, in dem die Häftlinge gearbeitet hatten, sowie die Häuser der Wärter. In dem Steinbruch war für die Gefangenen oft die einzige Möglichkeit, sich während der Pausen auszutauschen und ihr Wissen aneinander weiterzugeben, weshalb man auch von der „Mandela-Akademie“ spricht. Das Gefängnis selbst erkundeten wir dann zu Fuß. Ein ehemaliger Häftling, der während der Unruhen des "Soweto Uprisings" festgenommen worden war, führte uns durch die Zellen und Hofanlagen. Besonders interessant war dabei die Zelle, in der Nelson Mandela 17 Jahre seiner Haftzeit verbracht hatte. Dieser winzige Raum, dessen beide Wände man in der Breite mit den Fingerspitzen der ausgebreiteten Arme berühren konnte, besaß außer einem Feldbett auf dem Boden und einem Tisch mit Schale und Becher nur noch ein kleines, vergittertes Fenster. Es war für uns sehr beklemmend zu erfahren, dass Mandela dort lediglich wegen seiner anderen politischen Meinung so lange festgesessen hatte. Die Führung endete schließlich am Gefängnistor und wir begannen unseren ganz eigenen "long path to freedom" zurück zur Fähre.
Das Meer war inzwischen etwas ruhiger geworden und so konnten wir auf dem Boot wieder Richtung Festland auf Deck zu bleiben und so konnten wir uns auch an dem Blauwal erfreuen, der sich plötzlich und völlig unerwartet nahe unseres Bootes aus den Wellen erhob. Zurück an Land schlenderten wir noch einmal kurz durch die Waterfront, stiegen in den Bus, und Mr. Koopman fuhr uns zu Lionel Hoffmanns Haus, wo seine Frau Margie schon ein großes, leckeres Abendessen vorbereitet hatte. Gestärkt und mit vollem Magen ließen wir dann den Abend zusammen mit den Gastfamilien, die alle eingeladen waren, ausklingen.
Mittwoch, 6. August: Proben, proben, proben!
An diesem Morgen fuhren wir nach dem Frühstück direkt zur Schule. Während wir auf unsere Partnerinnen warteten, die noch einige Unterrichtsstunden vor sich hatten, besprachen wir unsere bisherigen Eindrücke, probten schon einmal einige Szenen für die Performance und unterhielten uns mit ein paar der TanzschülerInnen. Anna und Lukas wurden unterdessen von Margie Hoffman durch die Grundschule in Eersterevier geführt, in der sie selbst vor ihrer Pensionierung lange als Lehrerin unterrichtet hatte.
Pünktlich zum Schulschluss trafen wir dann unsere Partnerinnen für die "Rehearsals" im Theaterraum. Einzelne südafrikanische und deutsche Szenen schmolzen nun zu unserem "afrideutschen" Theaterstück zusammen. Leitfaden unserer Vorstellung waren die Freiheitsgedanken Mandelas, Schillers und mehrerer südafrikanischer Autoren. Dazu brachten wir uns gegenseitig "Die Gedanken sind frei" und "Senzenina" (dt. = Was haben wir getan), einen südafrikanischen Anti-Apartheit-Song, bei. Wir verwendeten sowohl unser vorbereitetes Material als auch Elemente der Workshops, die wir gemeinsam in der vorhergehenden Woche besucht hatten. Den krönenden Abschluss unserer Performanace sollte schließlich der traditionelle Zulu-Tanz bilden, den wir gemeinsam in dem Workshop erlernt hatten. So liefen die Proben bis in den frühen Abend und sichtlich erschöpft verabschiedeten wir uns von unseren südafrikanischen FreundInnen und kehrten zurück zu den Schwestern. Daher ließen wir es dort an diesem Abend ruhig angehen, saßen noch ein wenig bei Chips, Limo und guten Gesprächen zusammen und bereiteten einen (nicht ganz bayrischen) „Obatzda“ aus Frischkäse, Zwiebeln und Paprikapulver als „deutschen Beitrag“ für das Büffet bei der Aufführung am nächsten Abend vor.
Donnerstag, 7. August: Der Tag der gemeinsamen Aufführunng
Am Donnerstag ging es nach dem Frühstück wieder gleich in die Schule. Dort waren die Vorbereitungen schon heftig im Gange: Die Klassenzimmer wurden leer geräumt, die Wände mit großflächigen biographischen Bildern der Kunstklasse gestaltet, einzelne Szenen geprobt und letzte Übergänge abgestimmt. Nach einer kurzen Mittagspause mit Snacks begann die Generalprobe. Bei den drei Durchläufen festigte sich der Text und das Licht wurde eingestellt. Der Rest der Zeit vor der Aufführung blieb uns jedoch zur Entspannung. Tief im Sofa versunken konnten wir bei Mr. Hoffman zuhause noch etwas dösen. Eine Stunde vorher trafen wir uns zum Aufwärmen an der Schule und gingen, um die Nervosität zu überspielen, die Texte ein hundertstes Mal durch. Um 7 Uhr kamen die Gäste, darunter Lehrer, Eltern und LokalpolitikerInnen, bald darauf fing auch im ersten Raum das Programm in Form einer „Ausstellung“ an.
Inmitten der selbstgestalteten Bildern bewegten sich erhaben drei weiß gekleidete, sich in Zeitlupe bewegende südafrikanische SchülerInnen wie Statuen, umgeben von uns deutschen SchülerInnen, die synchron ein Muster von langsamen Gesten ausführten, durchflossen von einer rhythmisch ungebundenen Choreographie der schwarz gekleideten Tänzerklasse – eine Choreographie, die ein Schüler des 12. Jahrganges, Jason, selbst erdacht und einstudiert hatte. Nachdem sich die ZuschauerInnen diese Ausstellung von allen Perspektiven angesehen hatten, fingen vier SchülerInnen an Iris Radischs Essay aus der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ über die Stellung der Kunst in der Gesellschaft vorzutragen. Sie sprachen den Text in Englisch, Deutsch, Afrikaans und Xhosa.
Aufgefordert von Frau Markram bewegte sich das Publikum nun in einen zweiten Raum, in dem Maxi und Lisa unterstützt durch Geräusche von Sophie und David einen typisch deutschen Morgen nach im Workshop gemeinsam erlernten Methoden vorführten.
Der größte Teil der Show fand nun im Tanzsaal statt, welcher mit Stuhlreihen und Scheinwerfen in eine Theater verwandelt worden war. Das Stück begann mit zwei ineinander verzahnten Szenen: Ein südafrikanisches Mädchen sieht in der einen zu, wie ihre Mutter von deren Boss erniedrigt wird, während in der anderen der Marquis von Posa aus „Don Carlos“ von seinem König Menschenrechte einfordert. Der König wechselte dabei seine Rolle von „Boss“ zu „König“. Die musikalisch begleitete Rede des Marquis von Posa gipfelte in dem Ausruf: "Geben Sie Gedankenfreiheit", welcher anschließend von allen Seiten in verschiedenen Sprachen ertönte.
Eine kurze Tanzeinlage diente dem Übergang zu einer komödiantischen Szene aus dem südafrikanichen Stück „Woza Albert!“. In dieser nimmt ein fauler Arbeiter seinen antreibenden Kollegen auf den Arm, indem er das Ende ihrer harten Arbeit, nämlich die Ankunft von "Morena", also Jesus, verspricht. Das gemeinsam vorgetragene Lied „Senzenina“ verbunden mit einem Gedicht in Afrikaans, das die Schönheit des südafrikanischen Landes beschreibt, leitete über zur nächste Szene: „Kabale und Liebe“. Zwei Paare spielen parallel Luise und Ferdinand, vor und nach dem Scheitern ihrer Beziehung. Bei Schiller scheitern sie an den Grenzen der Ständegesellschaft, in unserer Inszenierung aber waren es Paare mit gemischter Hautfarbe. Daran schloss sich der Monolog eines südafrikanischen Mädchens an, der ihre gemischten Gefühle ihrer Hautfarbe gegenüber verdeutlicht. Die letzte Gesangseinlage, "Die Gedanken sind frei", brachte schließlich alle Szenen in Einklang und verband uns im gemeinsamen Gesang als Menschen, unabhängig von Aussehen, Religion oder Herkunft.
Im Trommelwirbel begann dann unser feuriger Zulutanz. Jetzt zeigte sich unser Zusammenhalt auf einer greifbaren Ebene, wir stampften synkopisch zum Takt und einzelne SchülerInnen riefen Kriegerlaute. Mit einem lauten “HA!” endete die Show im Freeze.
Nach dem Applaus bekamen noch die Schulleitung, LehrerInnen und SchülerInnen beider Länder sowie Mrs. Mantsinsulu als Vertreterin der Schulbehörde und Jan Odenthal als Vertreter des Western Cape die Gelegenheit für abschließende Worte zum gesamten Projekt und Danksagungen. Der Rest des Abends klang am Buffet aus.
Freitag, 8. August: Besinnung, Reflexion und unzählige Umarmungen
Am Freitagmorgen kamen uns unsere Partnerinnen bei den „Holy Cross Sisters“ besuchen. Zusammen wollten wir das Erlebte verarbeiten, unsere Erfahrungen austauschen und darüber reflektieren, was wir voneinander und übereinander gelernt haben. Auf Fragestellungen wie: "Was war euer eindrücklichstes Erlebnis?", oder "Was habt ihr über die anderen gelernt?" durfte jeder, LehrerIn und SchülerIn seine persönliche Antwort geben, was auch mit der Kamera festgehalten wurde. Dabei war sehr beeindruckend für uns, dass die SüdafrikanerInnen besonders den Respekt hervorgehoben haben, mit dem wir ihnen begegnet sind. Das hat uns wiederum sehr überrascht, da das für uns doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Gemeinsam hielten wir nochmals fest, dass das gemeinsame Theaterspiel uns geholfen hat, so nah zu werden und alle Berührungsängste abzubauen und alle stellten fest, dass es für uns eine sehr beeindruckende Zeit war, und wir uns alle auf den Rückbesuch im nächsten Jahr freuen.
Den Rest des Tages verbrachten wir gemeinsam mit den Partnerinnen bei warmem Wetter in Stellenbosch. Am Abend ist ein Italienisches Restaurant unser Treffpunkt zu einem letzten gemeinsamen Abendessen mit allen LehrerInnen und SchülerInnen des Austauschprojekts. In Stellenbosch hieß es auch Abschied von Frau Markram nehmen. Unsere Partnerinneren begleiteten uns im Bus auf unserer Rückfahrt zum Kloster. Ein letztes Mal konnten wir zusammen lachen und singen, um das nahe Ende zu verdrängen. Dann stoppte plötzlich der Bus und wir mussten uns verabschieden. In einem unwirklichen Moment konnte jeder jeden noch ein Mal umarmen, kurz darauf verschwand der Bus auch schon in der Nacht.
Samstag, 9. August: Der Blick zurück nach vorne
Der Abreisetag begann mit einer abschließenden Runde der deutschen SchülerInnen. Organisatorisches für das Nachbereitungsseminar und den Rückbesuch musste besprochen werden, Aufträge für die Aufarbeitung des Erlebten wurden gegeben, und dann nahm sich jeder Zeit für das Feedbackformular von ENSA. Um 12 Uhr stand dann ein letztes Mal Mr. Koopman mit dem Schulbus vor dem Wohnheim der „Sisters of the Holy Cross“. Auch er hielt eine kurze Abschiedsrede an uns. Wir machten ein Abschiedsfoto mit Sister Loretta und dann ging es los.
Am Flughafen gab es dann eine Überraschung für uns: Chelseas Vater kam auf dem Weg zur Arbeit extra zum Flughafen und gab jedem ein Foto. Chelsea hatte noch während unserem Aufenthalt Fotos für jeden entwickelt und auf die Rückseite Abschiedsgrüsse geschrieben. Auch Mr. Hoffman kam mit seiner Frau Margie und ihrer Tochter Aimie zum Airport und während wir uns auf die Zollkontrolle zubewegten, standen die drei da und winkten, bis wir sie nicht mehr sehen konnten.
Ursprünglich verfasst von David Natzkin, Danilo Pejakovic, Lisa Dietel, Maxi Mittermair, Sophie Hoderlein, Leon Schlagintweit
Überarbeitet von Stefanie Höcherl und Michael Blum
Stand: 16.09.2014 17:12